Leseprobe 2 - DER SCHLÜSSEL - Zwischen Vergangenheit und Gegenwart

aus mittendrin

„Wo aber...“, fragte sie. „... habt ihr, also, als du klein warst, gewohnt, ihr werdet ja nicht in der Wohnung gewohnt haben, in der Alexander mit Isabella gewohnt hat?“

„Das war eine Altbauwohnung?“, fragte Simon.

„Ja“, bestätigte Malon. „Zuerst haben wir da sogar alle drin gewohnt, zumindest solange unser Studium dauerte, und wir uns, bis eben auf Sonja und Leandrah dann so langsam abgeseilt haben um unser eigenes Reich zu beziehen.“

„Nein, da haben wir nicht gewohnt. Meine Mutter hatte ein kleines verwunschenes Häuschen mit einem zauberhaften Garten gefunden, der Besitzer hatte es leider nur vermietet. Es war allerdings ein Paradies für mich, dort aufzuwachsen, da es viel Platz zum Endecken und stöbern gab. Mit Sascha waren wir auch oft da und er hat es geliebt. Meine Iris liebte es auch sehr und nach Helenas Tod haben wir sogar versucht es zu kaufen, weil es wie eine Oase wirkte. Leider war der Sohn des Besitzers davon nicht angetan.“

„Hast du Bilder davon?“, fragte Malon.

„Ja schon, aber nicht hier. Ich konnte ja nicht ahnen...“

 Sascha sagte: „Warte.“ Er holte seinen Laptop und öffnete einen Ordner auf dem Privat stand. „Ich war vor ein paar Jahren wieder mal da“, erzählte er. „Auch mit dem Hintergedanken das Häuschen doch noch zu erwerben für mich, da es viele schöne Erinnerungen barg. Ich stellte es mir schön vor, meine Eltern dort wohnen zu haben. Bedauerlicherweise war es mittlerweise verkauft worden. Ich konnte jedoch einen Blick in den Garten werfen und muss zugeben, wer immer jetzt hier wohnte, hatte dem Haus und dem Garten seinen ganz individuellen Stempel aufgesetzt. Es war einfach zauberhaft. Wartet, ich zeige euch die Bilder mal, dann werdet ihr mich verstehen.“

Er klickte an... das erste Bild öffnete sich.

Malon, Anja, Leandrah und Erik starrten fassungslos darauf. Das durfte nicht wahr sein, das nicht.

„Oh, bitte nicht“, stöhnte Anja auf, blickte zu Erik, der ebenfalls darauf starrte, die Augen schloss und schluckte. Sascha, der das seltsame Gebaren der Freunde nicht registrierte, und Ben und Bastian, die es nicht verstanden. Bild um Bild zeigte Sascha stolz, dann fragend: „Ist es nicht zauberhaft?“

Malon hatte die Hände vor das Gesicht geschlagen, Erik stand auf und zog sie hoch, hielt sie fest in seinen Armen. Beide wussten mit ihrer Erschütterung kaum um zugehen. Anja war blass, Malon zog sie zu sich hoch, umarmte die Freundin. Leandrah war aufgestanden und schaute zum Fenster raus. Ihre Schultern zuckten hilflos. Bastian der jetzt aufstand und hinter sie trat, fragte mit rauer Stimme: „Könnt ihr vielleicht mal erklären, was euer Verhalten uns anderen anscheinend nicht involvierten, sagen soll?“

Leandrah schüttelte den Kopf... Brachte kein Wort heraus, zu ungeheuerlich war das so im Zusammenhang. Sonja, die in Varlosen auch gerade ihren Laptop anhatte und über Malons die derzeitige Situation gesendet bekam, stand stocksteif.

„Nein“, flüsterte diese. „Nein, bitte nicht.“

„Was ist?“, fragte ihre Mutter besorgt. Sonja drückte ihr Gesicht an den Hals ihrer Mutter und flüsterte ihr, um was es ging. Jetzt sank auch diese auf einen Stuhl.

„Das ist hart, wie wird sie damit umgehen? Wie wird sie das überstehen?“

Ben sprach Erik an. „Du scheinst etwas zu wissen, was wir nicht wissen, klär uns bitte auf.“

Erik versuchte zu sprechen, es gelang ihm nicht. Er räusperte sich, räusperte sich wieder. „Iris wohnt dort“, sagte er dann tonlos.

Ben schluckte. „Woher willst du das wissen?“

„Ich war, wie du dich vielleicht erinnern kannst, gestern mit Erik dort um ein paar Sachen für Iris zusammen zu suchen, daher hat er Haus und Garten gesehen“, erklärte Anja jetzt. „Wir Freundinnen haben, wenn uns Iris einlud, wenn sie wieder etwas daran gemacht hatte, und sie es uns zeigen wollte, viele vergnügliche Stunden dort zugebracht. Iris ist total vernarrt in ihr kleines verwunschenes Häuschen samt Garten, so vernarrt, dass sie selbst uns keinen Schlüssel für eventuelle Blumenpflege wenn sie verreist ist, überlässt. Lieber rupft sie alles raus und pflanzt etwas neues mit den Worten, das muss so sein.“ 

„Oh mein Gott“, konnte sich Ben jetzt auch nicht verkneifen. „Das darf nicht wahr sein, das ist...“

Er suchte nach Worten.

„... grausam“, beendete Bastian seinen Satz.

„Wie gut, dass sie jetzt nicht dabei ist“, flüsterte Leandrah. „Wir kommen aber nicht umhin es ihr zu sagen“, meinte Bastian.

„Nicht heute und nicht morgen“, wehrten Malon und Anja ab. Ben gab ihnen recht.

Simon und Sascha hatten bisher still dagesessen, ebenfalls fassungslos.

„Irgendwie logisch“, meinte Simon nach einer Weile. „Sie hat so viele Ähnlichkeiten mit meiner Mutter, dass es schon fast merkwürdig angemutet hätte, wenn es anders gewesen wäre.“

„Nein.“ Malon fuhr diesmal außer sich herum. „Iris ist auf ihre Art ein lebenslustiger kleiner Kobold, den wir alle mögen, sie gehört zu uns, sie ist so warmherzig, klug, immer für andere da wenn man sie braucht, sie kann so wunderschöne Naturbeschreibungen liefern wie kaum jemand, manchmal chaotisch wie jede von uns... Sie hat nichts mit Helena zu tun. Nichts, nichts, nichts.“

Dann brach Malon zusammen. Erik fing sie gerade noch auf. So hatte er sie noch nie erlebt.

„Das unterstreiche ich“, sagte Anja da.

„Ich auch“, kam es vom Fenster her. Ben schaute die drei Frauen der Reihe nach an. „Ihr habt mit jedem Wort recht“, sagte er dann langsam. „Das können wir alle mittlerweise bestätigen. Und glaubt mir, auch mir tut das in der Seele weh, was jetzt wieder herausgekommen ist, wir sollten jedoch sachlich bleiben wenn wir die ganze Sache weiter aufklären wollen. Fakt ist auch, was Simon sagte, Iris hat sehr viele Berührungspunkte mit Helena. Wenn das jetzt ihr zu Hause ist, dann hat sie sehr wohl viel mit der Helena zu tun, die Simon und Sascha kennengelernt haben, nämlich die gute Seite von ihr, die Seite, die zutage trat als sie das erste Mal mit einem Wesen konfrontiert wurde, das sie ohne Wenn und aber liebte, ihren Sohn.

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Malon goss auch Iris Kaffee ein und da kam ihr eine spontane Idee. Sie ging in ihr Schlafzimmer und kramte weiter in der Kiste, dort wo die Tagebücher drin waren... Es war nur so ein Gedanke... Und, ja, das Gefühl hatte sie nicht betrogen, da war es, das kleine Bild der Venus, das, was Claudius für sie gemalt hatte. Mal sehen wie Iris jetzt darauf reagierte. Sie schlenderte zurück in die Küche. „Ich habe letzte Nacht die ersten Tagebucheintragungen von Helena gelesen“, erzählte sie. „Von ihrem vierzehnten bis neunzehnten Lebensjahr.“

„Und?“, fragte Iris. „Langweilig?“

„Na ja, wie man es nimmt, vieles schon, aber einiges hatte es in sich. Hat sie dir jemals von ihren Jugendjahren erzählt Simon?“, fragte Malon neugierig.

„Hm...“

Ben schaute Malon an. Das war wirklich bisher nicht die Frage gewesen. Könnte jedoch zu vielen Dingen aufschlussreich sein, um das spätere Verhalten zu erklären. Er wurde neugierig, noch hatte er etwas Luft, bis zu seinem ersten Termin heute. Er platzierte den Laptop so, dass weder Simon noch Iris ihn gleich wahrnahmen, diese Aufzeichnungen waren wichtig.

„Nein“, sagte Simon jetzt nachdenklich. „Ich kann dir auch nicht sagen warum ich nie nachgefragt habe. Vielleicht weil sie schon so alt war, älter als alle anderen Mütter, und ich sie nicht verletzten wollte.“

„Weißt du denn, was du alles in die Kiste mit den Tagebüchern gepackt hast Iris?, fragte Malon jetzt.

„Nein, sah alles alt aus, interessierte mich nicht, deswegen habe ich es dir ja vorbeigebracht“, erhielt sie als Antwort. Iris hatte inzwischen gut zugelangt und auch Simon aufgefordert es ihr gleich zu tun, denn es würde ein anstrengender Tag.

„Also“, begann Malon. „Claudius von Bergheim hat Helena gemalt, dieses Bild war der Einstieg zu seiner Karriere.“

„Schön“, sagte Iris lapidar. „Sie muss schon ganz nett ausgesehen haben...“

Dann stutzte sie. „Das ist dann aber nicht das Bild von dem du  gesprochen hast, das Bild...“ Sie flüsterte jetzt. „... das sich verändert...“ 

„Nein“, erwiderte Malon. „Da hatte er die Fähigkeit wohl auch noch nicht. Dies war sein erstes Bild und das, hat dann wohl auch erstmal einen Skandal losgelöst.“

„Logisch, Skandale helfen oft jemanden bekannt zu machen“, konterte Iris gelangweilt.

„Er hat es sogar zweimal gemalt“, erzählte Malon weiter. „Einmal für seine Galerie und einmal in Postkartengröße, dieses schenkte er Helena.“

Ben hob den Kopf, das klang nach etwas sehr Besonderen und er ahnte jetzt was Malon vorhatte, die ihre Hand noch immer hinter dem Rücken hielt.

„Schau“, sagte Malon jetzt. „Das hat er gemalt, an ihrem neunzehnten Geburtstag.“

Sie legte das Bild auf Iris leer gefutterten Teller. Einen Moment war alles still, dann nahm Iris das Bild in die Hand.

„Sieh mal an“, sagte sie jetzt wieder als Helena. „Mein Bild, das was Claudius von mir malte, als ich mich noch im siebenten Himmel der Liebe mit ihm wähnte.“

Es klang bitter. Sie sah jetzt so aus wie sie wohl damals ausgesehen hatte, sie muss, das gab Malon zu, eine auffallende Schönheit gewesen sein.

„Warum...“, fragte Malon sie jetzt. „... klingen deine Worte so bitter?“

„Zwei Jahre“, sagte sie. „Zwei Jahre glaubte ich die einzige zu sein, die er liebte und begehrte. Ich glaubte, er würde mich heiraten wenn ich die Schule fertig habe und dann, dann stünde uns die Welt offen, wir beide, er und ich, würden die Welt aus den Angeln heben... Er hat mich zu einer Frau gemacht und zu seiner Geliebten. Er...“

Sie weinte jetzt. „...hat mich gemalt, nackt als Venus. Es gab einen riesigen Skandal als er das große Gemälde ausstellte und ein reicher Mann es kaufte zu einem Preis, bei dem auch meine Mutter nicht mithalten konnte.“

„Sein Glück war gemacht und meins... Verließ mich“, setzte sie ganz leise hinzu. „Mutter hat mich in ein Internat in der Schweiz verbannt. Isabella wurde gleich mit mir zusammen dorthin geschickt, weil sie nicht ähnliches von ihr erleben wollte. Meine brave Schwester... Niemals, die wurde ja rot wenn ein Mann sie lächelnd anschaute. Nun ja, gegen Mutters Wille war nicht anzukommen. Dieses Bild hat er vor dem Großen gemalt und signiert für mich. Ich habe es gut verstecken müssen, dass Mutter es nicht findet.“

Sie drehte es um, und zeigte es Simon und Ben. Beide schluckten. Oh ja, sie musste zu jener Zeit atemberaubend gewesen sein. Ben räusperte sich.

„Also alles was Recht ist, es zeigt eine Schönheit, die sich nicht verstecken muss.“

„Danke“, sagte sie zu Ben, erklärte dann: „Er hat mich geweckt, aus der etwas aufmüpfigen eine Frau gemacht, die sich der Sinnlichkeit und dem Feuer der Liebe, die er in mir entfacht hat, hingegeben hat. Ohne Wenn und Aber, ohne die Konsequenzen die es nach sich zog zu beachten. Ich liebte und fühlte mich geliebt, bis zu jenem Tag als die Nachricht selbst ins Internat durchsickerte, dass der begnadete Maler Claudius von Bergheim, die junge hübsche Anna van Banten Hals über Kopf geheiratet hat. Ich wollte es nicht glauben, Nein, er liebte doch mich, mich... Hatte er nicht geschworen auf mich zu warten, bis ich mit der Schule fertig war? Ich war so verletzt, dann so wütend. Ich wollte nach Gut Lohen, Vaters Waffe holen und ihn erschießen. Ja, das wollte ich.“

Man sah ihr den Schmerz den diese Nachricht bei ihr hinterlassen hatte, an.

„Ich habe ihn so geliebt“, flüsterte sie. „So geliebt.“

Jeder glaubte ihr das ungesehen, so wie sie es hier zeigte.

„Wie...“, fragte Malon. „... bist du mit diesem Schmerz umgegangen?“

„Du meinst...“, fragte Helena. „... nach den ersten großen Schmerz, der mich weinen ließ, wie ich bis zur Geburt von Simon, da allerdings vor Glück, nicht mehr geweint habe?“

Malon nickte.

„Ich konnte nichts essen vor Schmerz, nichts trinken, ich wollte einfach nicht mehr leben. Denn mein Leben das war ER, Claudius, gewesen. Dann kam die Welle, jener Zeit die mich innerlich erstarren ließ, ich habe regelrecht gespürt, dass alles in mir vereiste und gleichzeitig blutete. Zu jenem Zeitpunkt hätte ich ihn, wäre er vor mir gestanden, eiskalt erschossen.“ Jetzt kam dieses diabolische wieder in ihren Blick, das habe ich verschoben, auf später. „Und ich habe ihn dabei voll angesehen und er mich, er hat genau gewusst warum ich mir das nicht nehmen lassen wollte.“

„Hat es dich denn glücklich gemacht Helena?“, warf Malon ihre nächste Frage ein.

„Ja, in dem Moment schon“, antwortete sie. „Es war meine Rache. Er hat mein ganzes Leben verändert... Sein Verrat hat mich tief getroffen, das konnte ich nicht so stehen lassen, er musste dafür büßen.“

Tränen rannen über ihre Wangen.

„Du hast nie aufgehört ihn zu lieben?“, übernahm jetzt Ben die nächste Frage.

„Nein“, antwortete sie. „Nein, das konnte ich nicht, er war jener der mir die Liebe und Leidenschaft gezeigt hatte, ich hasste ihn für seinen Verrat und kam dennoch nicht von ihm los...“

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Malon schloss die Augen.

„Ich weiß nicht, ob es funktioniert“, erklärte sie. „Ich habe nur beim Lesen des Tagebuchs gemerkt, dass ich Helenas Aktionen bis hierher verstehen kann. Ihre Rachegelüste inbegriffen. Iris ist die äußere Hülle von Helena, ich jedoch habe auf Grund meiner akribischen Arbeit viel gemeinsam mit ihren Gedankengängen. Lasst es uns versuchen... ich bin kein Medium, besitze diese Fähigkeit absolut nicht, trotzdem hatte ich schon bei den ersten Tagebucheintragungen das Gefühl gehabt, ihr näher zu sein.“

Ben nickte. „Das würde ich an sich auch sagen. Allein die Entscheidung, dass du ihre Tagebücher lesen wolltest, dass Iris sie dir gebracht hat. Sie dich, wenn ich die Aufzeichnung gestern richtig interpretiert habe, sie dich vor allem auserkoren hat, ihren Werdegang zu rekonstruktiveren. Bei dir laufen alle Fäden zusammen, du hast die Rosenthals dazu geholt, Anja und Conny tragen dir zu und Iris ist hier bei dir untergebracht zu deren Schutz. Ja, du bist für Helena quasi in der gleichen Position wie sie sich gesehen hat. Es könnte daher klappen.“

Erik starrte Ben an.. „Du meinst...?“

„Ja“, bestätigte Ben. „Helena war nicht nur schön, sie war auch klug, nur sie hatte keine Chance ihre Fähigkeiten zu zeigen, weil ihre Mutter diese Fähigkeiten nur Isabella zuschrieb.“

„Seid ihr soweit?“, fragte Malon jetzt. Nachdem sie alle drei sich angefasst hatten nickten die beiden. „Helena ich weiß, dass du da bist, durch die Tagebücher besteht ein Band zwischen uns.“

„Du bist klug Malon“, ertönte die Stimme. „Und du hast es erfasst, ich bin hier, bei Frau Buske in der Wohnung, die jetzt von dir bewohnt wird. Auch dir Ben, meine Gratulation, du hast es erfasst.“

„Iris ist mein Medium, Malon hat jedoch die Fähigkeit in meinen Gedankengängen Fuß zu fassen. Schade, dass ich euch erst jetzt kennenlerne, ihr wäret gute Freunde gewesen, die ich so nicht hatte. Wer weiß, was dann alles anders gekommen wäre? Bemerkenswert Erik, dass du Malon, deine Freundin mit deinem Freund gestern Nacht teiltest, weil er sie brauchte. Nicht dich, nicht die anderen Freunde, sondern deine Freundin. Was ist dir unklar Malon, dass du diese besondere Sitzung einberufen hast?“

„Du hattest doch Claudius, warum wolltest du Alexander?“, fragte Malon jetzt direkt.

„Er gehörte meiner Schwester...“, erklang die Stimme.

„Erzähl mir nichts“, fuhr Malon sie an. „Nenn mir deine wahren Beweggründe.“

„Du lässt wohl nicht locker“, meinte Helena da. „Also gut.“ Ein Seufzer entrann ihr. „Er war ein interessanter Mann, ein weitgereister Mann, Mutter vergötterte ihn, alle meine Freundinnen schwärmten von ihm und er sieht Isabella und sieht nichts anderes mehr. Er konnte sich gegen Mutter durchsetzen. Claudius war auf Grund seines Ansehens von Anfang an gern gesehen, jedenfalls bis zu dem Bild der Venus, danach war es etwas kühler, auch für ihn geworden. Anderseits kam man um einen Mann wie ihn, gesellschaftlich nicht herum, somit wurde er in Gnaden wieder aufgenommen. Er konnte schmeicheln, das brauchte Alexander nicht. Es hieß immer nur Alexander hier, Alexander da, aber er machte sich nichts aus dem, er wollte nur Isabella, nur sie. Mutters Getue um ihn herum verbat er sich. Das gefiel mir, ein Mann der Mutter Paroli bot. Dann jedoch heirateten sie... und Leandrah kam. Das machte es schwieriger ihn zu bekommen. Claudius Frau hingegen war so gut wie nie anwesend, der Sohn wuchs bei seinen Großeltern auf, er war also da, wir trafen uns, liebten uns... Ein Stachel verblieb jedoch, jener, dass er nicht auf mich gewartet hat. Eine andere hatte mir den Mann genommen den ich so geliebt habe.“

Malon unterbrach sie: „Sie hat es aber nicht gewusst, dass du und Claudius...“

„Nein, das hat sie nicht, wir mussten ja heimlich, ich war noch nicht volljährig“, gab Helena zu.

„Das rechtfertigt aber nach wie vor nicht, dass du den Mann deiner Schwester wolltest...“, warf Malon ein. „Hast du ihn denn geliebt? Na komm Helena, wolltest du deine Schwester nicht einfach nur treffen, so wie Claudius dich getroffen hat, oder hast du ihn geliebt? Das kann jedoch nicht sein, denn wenn ich richtig gelesen habe, war trotz des Schmerzes, Claudius der einzige den du je geliebt hast. Alexander passte nur gut in deine Rachepläne hinein, einen Rundumschlag zu machen. Deine Schwester, die nichts dafür konnte das Nesthäkchen zu sein. Deine Mutter die dich immer nur beschnitt, Claudius weil er dich verraten hat sowie seine Frau, die nichts dafür konnte, dass er sie geheiratet hatte und er diesen Schritt recht schnell bereute. Seinen Sohn, den du in dieses Spiel mit einbautest. Warum Helena? Antworte mir jetzt, hast du Alexander geliebt?“

„Du hast es gut aufgezählt“, sagte Helena nach einer Weile. „Ich habe immer nur Claudius geliebt. Alexander...“ Sie hielt einen Moment inne. „... war, ja, war Mittel zum Zweck.“

Ben und Erik schluckten.

„Unseren gemeinsamen Sohn habe ich geliebt und auch dessen Sohn, meinen Enkel Sascha. Ich habe erst in der Nacht der Geburt von Simon begriffen, was Liebe bedeutet, Liebe die einem von der ersten Minute entgegen schlägt, die keine Fragen stellt und keine Antworten erwartet.“

„Warum hast du deinen Sohn Simon genannt?“, wollte Malon wissen.

„Weil es der Name war, den Claudius und ich schön fanden, als wir uns liebten und uns fragten was tun wir, wenn ich schwanger werde. Wir flüsterten uns die Namen gleichzeitig gegenseitig ins Ohr. Es war Simon bei uns beiden.“

„Was Helena...“, wechselte Malon das Thema. „Was hat dich schon früh dazu veranlasst, einzutauchen in diese grausame Zeit? Du hast ihn als Spinner, als Fantasten abgetan, warum hast du trotzdem mitgemischt, das ist nicht nachvollziehbar.“

Sie lachte. „Woher willst du wissen, dass ich schon früh...?“

„Nun Helena, das liegt auf der Hand, du hast das Buch gelesen und deine Schlüsse daraus gezogen. Du hast es für Fantasien gehalten und doch mehr gesehen, da du dich in Welten bewegtest, die man die sogenannte Halbwelt nannte. Du hast dich dort vermutlich seit langen bewegt, Künstler jeglicher Coleur und die, die es gerne wären, eingeführt von Claudius, du warst keine Fremde. Du hast viel aufgeschnappt, aber du warst nur an der Seite von Claudius als Helena von Lohen dort. An anderen Tagen warst du als Cornelia dort und wir beide wissen ja, dass das die Gehörnte heißt.“

„Woher weißt du das?“, fragte Helena jetzt. „Das habe ich nie aufgeschrieben.“

Ben und Erik schauten jetzt ebenfalls überrascht. Malon erwiderte: „Stimmt, das hast du nie aufgeschrieben, ich habe jedoch ein Bild gefunden, das dich als solche zeigt. Du hast stets eine Maske getragen, außer, wenn du mit Claudius unterwegs in dieser Welt warst. Hier hast du viel Informationen abgefischt. Und mit diesen hast du dann deine Position ausgebaut, in diesem Fall die Souffleuse, die Zuflüsterin des Theaterstückes, das du inszeniertest. Du hast die Rollenverteilung übernommen und dir die Rolle der Waage verpasst.“

Sie sah Eriks überraschten Blick.

„Die Waage, die mal mehr Gewicht auf der einen und ein andermal auf der anderen Seite trug“, fuhr Malon fort. „Du selbst hieltest diese scheinbar in der Hand.“

„Scheinbar.“ Sie fuhr wütend auf. „Ich habe sie in der der Hand gehalten.“

„Nein“, widersprach Malon. „Da waren andere Kräfte am Werk, du musstest ab einem gewissen Punkt dich auch beugen und es war letztendlich nicht mehr so leicht Alexander nur in Haft zu behalten ohne ein Gerichtsverfahren. Deswegen hast du so gedrängt, dass Isabella und Leandrah gefunden wurden. Du konntest es  nicht riskieren auch ein solches abzuhalten, ihn scheinbar zu bestrafen, denn für das wofür du ihn inhaftiert hattest, war der Tod vorgesehen. Wenn du also sein Schicksal mit dem deinen verknüpfen wolltest...dann musstest du handeln. Widersprich mir, wenn es falsch ist...“

„So weit warst du noch nicht am Lesen“, klagte Helena jetzt. „Woher weißt du diese Dinge?“

„Spekulationen aus dem bisher gehörten, gelesenen“, meinte Malon lapidar.

„Ja, es stimmt“, gab Helena zu. „Irgendwann kam der Zeitpunkt, dass ich schnellstens handeln musste, wer hätte denn auch gedacht, dass meine Schwester so zäh war und dass sie die Route änderte? Das hat es schwieriger gemacht. Da nützte es auch kaum etwas, dass ich in den Nachrichten die Flucht von ihr verbreiten ließ und die Ergreifung mit einer Summe belohnen wollte.“

„Du warst diesem neuem Staat gegenüber kritisch, du hast nach 1936 gesehen wie alles ins Rollen kam, was du gelesen hattest. Du hattest dir zu jenem Zeitpunkt dennoch schon eine Rolle ausgesucht, die du konsequent nach außen hin spieltest...“

Jetzt schaute Ben überrascht hoch und Malon an. Erik verstand plötzlich und auch bei Ben dämmerte es, je länger er Malon ansah.

„Es reicht für jetzt“, meinte Malon da. „Wir sprechen uns wieder. Ben muss Simon abholen um ihn zu Iris, beziehungsweise seinem Mutterhaus zu bringen, Iris muss zum Sender.“

Die beiden Männer schauten Malon an. „Hast du das alles gewusst oder...?“

„Inszeniert“, sagte sie. „Manchmal braucht man einfach nur ein paar Worte, Fragmente und versucht dann anzubauen... sie hat in diesem Fall darauf reagiert und die Lücken geschlossen.“

„Hast du das Bild...“, fragte Erik. „... tatsächlich?“

„Aus den Bildern die Conny letztens vorbeibrachte habe ich es rausgefischt, wartet, ich zeige es euch. Man nannte sie die Geheimnisvolle Cornelia und seht selbst, so wie ihre Maske aussieht, kann man den Ursprung des Namens Cornelia also die Gehörnte nachvollziehen. Das sie es war, war ein Schuss ins Blaue meinerseits.“

„Glaubst du ihr, wenn sie sagt, dass sie Alexander nicht geliebt hat?“, fragte Ben.

„Ja“, entgegnete Malon. „Sie hat nur Claudius geliebt, Alexander war wirklich nur Mittel zum Zweck.“

„Sie hat aber hinterher nur gut über ihn gegenüber von Simon gesprochen“, warf Ben ein.

„Du bist der Psychologe“, erklärte sie. „Was sollte sie ihrem Sohn denn sagen? Ich habe deinen Vater und seine Familie auf dem Gewissen, weil ich einst um mein Glück betrogen wurde? Das ging nicht. Sie hat es ja auch erlebt, das Glück der kleinen Familie, wie er sich um Frau und Tochter kümmerte, aus dem konnte sie ihm die Illusion aufbauen.“

„Ganz schon infam“, rutschte es Erik heraus.

„Waidwund würde ich es heute bezeichnen“, erwiderte Malon nachdenklich.

Ben nickte. „Es triff beides zu.“

Die beiden betrachteten das Bild, eine Frau die schillernd dank dieser Maske wirkte, geheimnisvoll, weich sich an jemanden räkelte, die Augen jedoch dabei eindeutig wachsam durch den Raum streifen ließ.

„Du musst los“, sagte sie zu Erik, küsste diesen zärtlich, als er die Wohnung verließ. Dann wandte sie sich an Ben. „Du siehst entspannt aus.“

„Bin ich auch“, erwiderte er. „Wir müssen...“, fuhr er dann fort. „... aber Simon nicht sagen, dass seine Mutter...“

Aber, aber, meine Hand legte sich an seine Wange, doch mein behandschuhter Daumen fuhr über seine Lippen. „Sie sind so schön“, flüsterte er ergriffen. „Ich, ich. ich…“

Ein Gedanke erobert mich, ja ich gebe es zu, ein wenig teuflisch ist er schon, aber Rache ist etwas sehr subtiles und will in jeder Nuance ausgekostet werden. Ich lud ihn ein, zu mir in mein und Claudius Liebesnest, ich verband ihm allerdings mit meinem Schal die Augen, ein paar Mal gedreht. Dieses hat ja auch von der Straße her einen Eingang, so dass ich jederzeit doch auftauchen kann und nur ich, habe zu diesem Eingang einen Schlüssel. Er ahnt nicht, wo er sich befindet  und das nur eine Etage höher sein Vater sein Domizil hat. Diese leckeren Früchte, ein paar leidenschaftliche Küsse, gespieltes Begehren und schon konnte ich diese junge Ausgabe von Claudius um den Finger wickeln. Ich genieße es, dass er sich so in meinem Bann befindet, er greift nach einem Block und beginnt mich zu malen.

„Meine Liebes Göttin“, flüsterte er dabei. Das Talent hat sich also vererbt muss ich feststellen. Ich muss allerdings verhindern, dass er genau wie sein Vater mit einem Bild von mir seinen Durchbruch hat.

„Schenkst du mir das Bild?“, hauchte ich.

„Ungern“, erwiderte er. „Ich wollte es für mich, damit ich eine Erinnerung an dich habe.“ „Ich bin nicht so geübt“, erzählte er weiter. „Ich möchte nicht Maler sondern Architekt werden.“

„Schenk es mir“, gurrte ich etwas beruhigt.

„Wie heißt du?“, fragte er.

„Oh, habe ich vergessen mich vorzustellen…“ Ich lächelte. „Nenn mich Aphrodite.“

„Aphrodite, ja, das passt“, murmelte er. „Du bist meine Göttin der Liebe, der Schönheit, sowie der sinnlichen Begierden, die ich vorhin so reichhaltig auskosten durfte.“

Wieder musste ich in mich hinein lächeln, mein Name war Helena und sein Vater hatte mich als Venus gemalt. Venus, die das römische Gegenstück zur Aphrodite darstellte. Ich verriet ihm, nachdem ich ihn in dieser Nacht noch einmal meine sinnliche Begierde spüren ließ etwas, was er nur unter dem Siegel der Verschwiegenheit, größter Verschwiegenheit, dem Fotografen Bretoni erzählen dürfte. Nur diesem, denn nur dieser sei in der Lage die Brisanz die in diesem Wissen steckte, zu erfassen und umzusetzen.

Alle zwei Wochen, erzählte ich ihm also, träfe sich der Führer in einem bestimmten Hause in einer Hochparterrewohnung heimlich mit einem Mann.

„Geheime Absprachen?“, fragte er neugierig.

Ich schüttelte den Kopf. „Nun, so würde ich es nicht formulieren, es ginge mehr um etwas was er sonst verteufle, dieser Mann und der Führer…“

Ich senkte den Blick.

„Wenn das rauskommt, oh mein Gott…“, Simon schien begriffen zu haben.

„Genau“, bestätigte ich. „Ganz genau, deswegen ist es so wichtig das das festgehalten wird und nur der Fotograf Bretoni besitzt das nötige Fingerspitzengefühl dafür. Also diese Woche war das Treffen schon“, bedauerte ich. Ich setzte noch hinzu: „Immer Donnerstags.“

Er fragte gar nicht woher ich dieses Wissen hatte, das fiel mir auf, er war viel zu sehr beschäftigt mit dem Wissen, das er erhalten hatte. Die Tragweite dessen, schnürte ihm fast die Luft ab. Ich wusste, dass er in den nächsten Tagen mit meinem lieben Schwager ein Treffen hatte, da dieser ihm versprochen hatte ihm Aufnahmen von besonders schönen und ausgefallenem Gebäuden zu geben, das hatte mir Claudius erzählt. Ich griff daher noch einmal spielerisch nach ihm, küsste ihn und griff dabei nach dem jetzt fertigen Bild, ließ es unter den Kissen verschwinden.

„Du weißt schon…“, flüsterte ich ihm ins Ohr, während ich daran knabberte und leckte: „… dass man seine Quellen niemals verrät?“

„Ich weiß“, stöhnte er auf. „Du machst mich verrückt.“

Wir badeten ausgiebig, dann zogen wir uns wieder an, ich verband ihm erneut die Augen und schlich mit ihm aus der Wohnung, brachte ihn dort wieder hin, wo wir uns gegen Mittag begegnet waren. Mal sehen ob er es hinbekommt. Ich brauche diese zwei Wochen um mit Viktor das einzustudieren, was gezeigt werden soll. Die Maske, alles muss stimmig sein. Das Haus, welches ich mir ausgesucht habe steht dort wo viele gleiche Häuser stehen. Einige der Wohnungen sind frei, dennoch sind durch die überhastete Flucht Möbel stehen geblieben, ideal, um die kleine Komödie zu spielen. Mein lieber Schwager, dieses ist dann der erste Streich.

Ich bin noch einmal zurück in mein Liebesnest, waschen, nicht dass der fremde Besuch ruchbar wird in Claudius feiner Nase. Auch das Bild welches Simon von mir gemalt hat, will ich mir genauer ansehen.

Nicht schlecht, so also sieht mich ein junger Spund, der mich als Aphrodite kennt. Sieh mal an, er hat es signiert und datiert. Das darf auf keinen Fall in fremde Hände fallen.

 Die beiden Männer links und rechts neben ihr lasen noch, als Malon sich aus der Mitte heraus wand um nachzuschauen, ob auch dieses Bild sich in den Hinterlassenschaften von Helena befand. Aus einem Impuls heraus, zog sie ihr Neglige aus. Nackt wie sie so war begab sie sich jetzt in ihr Arbeitszimmer, da hörte sie eine Stimme, Helenas Stimme. „Es fasziniert mich, das ich zweigeteilt bin zwischen Iris und dir.“

Malon drehte sich um, sie konnte schemenhaft Helena sehen so, wie sie sie gerade im Tagebuch gelesen hatte, 1939, als dreiundvierzigjährige. Sie sah aus den Augenwinkeln, dass Ben und Erik ihr gefolgt waren und so das gleiche wahrnahmen wie sie. Das war gut so, denn wie sonst sollte man das erklären. Es rumste an ihrer Wohnungstür, sie zuckten allesamt zusammen, Erik eilte zur Tür riss sie auf und Iris schlafwandelte herein. Christina, die von dem rumsen auch wach geworden war, folgte.

„Sieh mal einer an“, ertönte Helenas Stimme erneut. „Mein anderes Pendant taucht auf.“

Ben hatte ein komisches Gefühl und er zog sich kurz zurück um Thomas anzurufen. Verschlafen meldete sich dieser. „Komm bitte sofort zu Malon, allein. Lass Sonja ruhig schlafen.“ Da Bens Worte dringlich klangen, und Ben ihn an sich selten kontaktierte, musste wohl eine außergewöhnliche Situation eingetreten sein. Er zog sich leise an. Als er aus dem Bad trat, stand Sonja im Weg. „Wo willst du hin?“

„Ben hat mich angerufen“ sagte er. „Du kannst aber…“

da sah er, das ihr Anhänger des weißen Hirschens vibrierte. Daher sagte er nur: „Beeil dich.“ Nur kurze Zeit später machten sich die beiden auf den Weg. Ben bat Christina Thomas unten die Tür zu öffnen, er würde die hier oben offenstehen lassen damit sie nicht klingeln müssten. Sie nickte, sagte auch bei Carlo kurz Bescheid, eilte dann die Treppe hinunter.

„Du Malon“, sagte Helena, während sie sich ihr zuwandte. „… bist meine Gedankenwelt, du kannst nachvollziehen wie ich gedacht habe, weil du selbst das liest, was ich niemals aufgeschrieben habe. Es ist erstaunlich, wie gut du mich erfasst hast. Nur Claudius war, nachdem er mich zu einer Frau machte diese Gabe gegeben, nur er wusste, ohne dass er es aussprach was ich dachte, fühlte wie ich tickte, so sagt man heute nicht wahr? Iris hingegen ist…“

In diesem Moment traten Sonja, Thomas Christina und Carlo ein… jeder von ihnen konnte die schemenhafte Helena sehen, wie sie Iris schlafwandelnden Körper wieder übernahm, der jetzt in diesem Zustand völlig wehrlos war. Carlo und Christina setzten sich auf zwei der Stühle, blieben nur im Hintergrund. Sonja hatte die Übernahme von Iris wehrlosen Körper gesehen, hörte in ihrem Kopf: „Nicht eingreifen… Das hier ist wichtig um weitere Erkenntnisse zu erhalten.“

Ben zog Thomas an seine Seite, flüsterte mit ihm, zeigte auf Sonja, schüttelte den Kopf, Thomas widersprach, erzählte seinerseits von dem Vibrieren ihres Anhängers. Ben holte tief Luft, sagte dann: „Okay. Es scheint brisant zu werden, du und ich sowie Malon sind Hüter in diesem Leben und Malon braucht jetzt unser beider Unterstützung da sie ähnlich wie Helena einst, die einzelnen Fäden in der Hand hält, sie bündelt und zu einem Ergebnis führt. Sie ist diejenige, die Helenas Gedanken erfassen kann auch die ungeschriebenen wie sie bereits bewiesen hat. Iris hingegen ist das Sprachrohr, der Körper, Helena pur. Iris wird von ihr beherrscht, benutzt, sie kann sich dagegen nicht wehren, weil sie ihr zu ähnlich ist. Malon hingegen ist die Erfassung Helenas als komplexes Wesen, das was wir über Iris nie erfahren würden, kann sie ihr nicht vorenthalten.“

Thomas schaute Ben an, lange schien es, doch waren es nur Sekunden. „Ich verstehe“, antwortete er. „Erik ist der Beschützer von Iris, auch vom weißem Hirschen dazu auserkoren, Sonja als Diana kann also Erik zur Seite stehen um über Iris jetzt zu wachen und wir, sind so schon mit Malon als Dreiergespann der Hüter eine starke Front.“

Ben nickte. „Lass uns Malon immer in der Mitte behalten. Sonja zu deiner Seite, dann Iris und auf deren anderer Seite Erik. Wenn wir einen Kreis bilden stehen Erik und ich so nebeneinander, vermitteln durch die Lilie ebenfalls einen extra Verband.“

Thomas nickte. Sprach dann mit Sonja, diese mit Erik und so bildete sich jetzt dieser Kreis. Malon und Iris standen sich gegenüber.

„Wie…“, fragte Malon jetzt. „… hat es sich angefühlt für dich, den Sohn des Geliebten zu verführen? Den Sohn den du hättest mit ihm haben können, wenn er nicht Anna geheiratet hätte?“

Helena wand sich. Schmerz strahlte aus ihren Augen, jedoch nur einen kurzen Moment. „Es hat mir gefallen“, höhnte sie nur wenige Minuten später. „Wolltest du das hören?“

„Nein“, antwortete Malon. „Claudius hatte dich sehr viel früher zur Frau gemacht, die Liebe und Leidenschaft in dich gepflanzt. Wie er dich gemalt hat, spricht von einer ganz besonderen Beziehung zwischen euch, keinesfalls oberflächlich, sondern sehr tief und er wusste, er hatte dich zutiefst verletzt, das wiederum konnte er in den Augen der Cornelia lesen. Eine Frau wie du, das war ihm klar, würde sich rächen, würde diese Schmach nicht auf sich beruhen lassen. Das du dafür jedoch seinen Sohn, den er stets links liegen ließ, der bei seinen Eltern aufwuchs, mit seinen Vater absolut nichts gemein hatte, dass du diesen mit in deine Rache eingebunden hast…“

„Zufall“, warf sie lapidar ein. „Wenn er den Tag nicht meinen Weg gekreuzt hätte, dann hätte ich jemanden anderen gefunden, der Alexander diesen Tipp gibt. So aber, da musst du mir recht geben, hatte das eine besondere Note.“

„Du hast mir meine Frage nicht beantwortet“, ignorierte Malon diese Ausführungen.

Ein maliziöses Lächeln umspielte wieder ihre Lippen, das, wie Malon und die anderen bemerkten, nicht ihre Augen erreichte. „Claudius verführte mich und ich… nun, ich seinen Sohn. Es floss immerhin auch sein Blut in dessen Adern.“

Sie lachte auf.

„Das ist nicht witzig“, beschied Malon sie.

„Eine Frau zwischen Vater und Sohn, nun das wird es häufiger geben“, konterte Helena.

„Sicher“, bestätigte Malon. „Nur in der Regel eher zwischen Sohn und Vater, weil die Geliebte in der Regel jünger ist und damit begehrenswerter.“

Malon verließ den Kreis, stellte jetzt die blaue Kiste von Iris hoch, kramte, blätterte und hielt nach wenigen Minuten ein DIN A4 Blatt hoch, kehrte mit dieser Beute zurück in den Kreis. Sie selbst hatte es sich nur kurz angesehen, konnte jedoch nicht umhin, diese Arbeit zu bewundern. Simon von Bergheim, da war Malon sich sicher, hätte ein großer Maler werden können. Sie drehte das Bild um, so dass alle es sehen konnte.

„Wow.“ Auch Sonja war schwer beeindruckt. „Wer ist das und wer hat es gemalt?“, fragte sie überrascht.

„Simon von Bergheim“, antwortete Malon. „Und zwar an dem Nachmittag als er nichtsahnend in dem Liebesnest von Helena und Claudius sich aufhielt. Wer weiß vielleicht war sein Vater eine Etage höher und malte selbst. Er hatte, wie es beim Lesen durchklang, den ersten Sex seines Lebens gehabt, mit ihr.“

Malon zeigte auf Iris. „Sie hatte ihn, der nicht wusste wer sie war, verführt nach allen Regeln der Kunst. Da konnte er wohl nicht umhin sie zu malen, übrings sie stellte sich ihm als Aphrodite dar, während er malte. Venus wurde ja bereits von Claudius gemalt, so blieb nur das Pendant dazu, die sinnliche Begierde. Was nach dem für ihn gerade erlebtem auch das Nachvollziehbarste war. Dieses Bild ist sehr gut gelungen, es ist vermutlich das einzige Bild von ihm. Interessant wird es allein durch die Tatsache, dass es wenig Bilder aus jener Zeit gibt, die Helena zeigen. Er hat ihre Gesamtheit auf das Papier gebracht, ihre Verletzlichkeit des nicht mehr mädchenhaften Körpers, er brauchte indes auch nicht zu schmeicheln, denn sie wird dafür gesorgt haben sich gut zu halten. Ihr Blick noch verhangen von der gelebten Lust und dennoch das wieder kühle beobachten. Ihre Haltung aufgestützt auf einen angewinkelten Arm, ihre Nacktheit die sie offen zeigte. Hast du es dir angesehen, bewusst angesehen, Helena, bevor du es versteckt hast?“

„Ja, habe ich“, sagte sie leise. „Und ja, er hätte in Claudius Fußstapfen treten können, das war mir klar als ich es gesehen habe. Ich wollte aber nicht, dass er es sieht, denn dann hätte ich ihm erklären müssen wie es zustande gekommen ist. Und ich wollte nicht, dass schon wieder ein von Bergheim seine Karriere mit einem Bild von mir beginnt. In diesen Zeiten, wie wir sie hatten, hätte er allerdings mit diesen Bild auch verschwinden können auf Nimmerwiedersehen, so gesehen habe ich ihm sein Leben gerettet, dass ich es an mich nahm.“

„Oh, so siehst du das also, du umgibst dich fast mit einem Heiligenschein“, konterte Malon. „Soll meine Freundin Sonja dich so malen, denn sie kann das auch und zwar richtig gut?“

„Ich denke…“, meinte Malon dann weiter. „… ich werde dieses Bild an Julius von Bergheim weitergeben, Claudius Enkel.“

„Tu das“, erwiderte Helena. „Denn ich möchte nicht, dass mein Sohn ein solches Bild von mir erhält.“

Das konnten alle nachvollziehen.

„Zu deiner anderen Frage, nein, ich möchte nicht mehr gemalt werden, ich bestreite jedoch nicht, dass deine Freundin die sehr viel Macht hat, mich malt, obwohl sie es könnte.“

„Du hast also…“, fuhr Malon fort. „… diese Ungeheuerlichkeit, diese Lüge von dem heimlichen Geliebten des Führers gezielt Simon verklickert, damit er es denn dann am nächsten Tag Alexander erzählen sollte.“

Hohnvoll stand Helena jetzt wieder da. „Ja, das habe ich, ich bekenne mich schuldig.“

Malon sprach weiter. „Herr Rosenthal hat das entwickelte Bild ja gleich als Schmierenkomödie erkannt und ich denke auch Alexander hätte, wenn er dazu gekommen wäre die Bilder zu entwickeln, das erkannt.“

„Wenn.“ Sie zog die Augenbraue hoch. „Wenn Malon, aber dazu habe ich es bewusst nicht kommen lassen. So hatte ich Zeit und Gelegenheit die Angst zu schüren, den Verräter aufzubauen.“

 

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