Leseproben - DAS FENSTER ZUM INNENHOF

 

EINE SZENE

Dann glitt sein Blick weiter. Ein Schnarren ließ ihn den Blick weiter nach unten gleiten: Ein Rollo wurde gerade hochgezogen.
Eine Frau, bekleidet nur mit einer schwarzen Strapskorsage samt Tanga, stand im Fenster und atmete tief die frische Morgenluft ein. Danach setzte sie sich auf einen Stuhl des Schlafzimmers und begann einen hauchdünnen Strumpf über ihren Fuß zu streifen.
„Nicht“, erklang da die Stimme eines Mannes, „lass mich das machen. Du weißt, wie sehr ich deine Füße liebe – ob nackt oder bestrumpft.
„Achim, bitte, heute nicht, ich habe es eilig.“
„Nichts kann so wichtig sein“, warf er sich an die nackte Brust – er trug lediglich ein Handtuch um die Hüften –, „wie das Verwöhnen deiner zauberhaften Füße und Beine… Außerdem ist heute Samstag.“
„Für dich ja, aber wir erwarten in der Boutique noch die neue Ware, sie muss ausgepreist werden und ins Fenster.“
„Carina, du bist die Chefin, da ist es doch egal, ob du ein wenig später kommst. Komm, lass dich nicht so lange bitten. Mach mich glücklich.“ Er hatte während des Gesprächs liebevoll ihren nackten Fuß geknetet, setzte diesen auf dem Handtuch ab und rieb den Fuß rauf und runter.
Jonas hörte das wohlige Stöhnen des Mannes. Dann ging dieser in die Knie. Seine Lippen glitten wie suchend über den noch nackten Fuß und das Bein, an dem schon bestrumpften dann wieder hinunter. „Ich bin verrückt nach deinem Duft“, stammelte er, stand wieder auf, zog das Handtuch weg und setzte beide Füße, den nackten sowie den bereits bestrumpften, auf seine Erektion, drückte die Füße darauf, rieb sie weiter rauf und runter. Wieder verstärkte sich das Stöhnen, dann ging er erneut auf die Knie, legte sich ihre Füße auf sein Gesicht, bewegte sie auch hier rauf und runter ließ seine Zunge über die Fußsohlen gleiten. Dann fuhr er mit der Zunge zwischen ihre nackten Zehen, jetzt hatte auch sie sich zurückgelehnt, ihre Brüste hoben und senkten sich in der sehr angepassten Korsage, ihr Mund war leicht geöffnet und kleine spitze Schreie entwichen ihr.
Der Mann lächelte wissend, stand wieder auf legte erneut ihre Füße links und rechts von seinem Schwanz, fuhr sie erneut rauf und runter, packte dann ihre Fußsohlen um sein Teil und sie fing intensiv an seinen Schwanz zwischen diesen hin und her zu rollen. Dabei kam ihre Zunge immer mal wie stoßend zwischen ihren Lippen hervor und verschwand wieder. Und jetzzzzzt – fast wie ein Brunftschrei klang es – als er abspritzte und seine Sahne eruptionsartig über ihre Füße ergoss. Dann schnupperte er, lächelte wieder, löste ihre Füße von seinem Schwanz, küsste die Fußsohlen dankbar, ging wieder in die Knie, leckte seine Sahne von ihren Füßen, spreizte danach ihre Beine und: „So, so“, sagte er, „es hat also auch dich wieder angemacht, dein Tanga ist klitschnass.“
Sie konnte nicht antworten, ihre Brust hob und senkte sich, sie keuchte. Er öffnete das Overt und drang danach blitzschnell mit der Zunge ein. Sie krallte sich in seinen Haaren fest, riss, zerrte, um dann kurze Zeit später einen lustvollen Schrei der Befreiung loszulassen. Sie zog ihn hoch, sein Gesicht glänzte, und Jonas konnte sehen, wie sie seinen Hals festhielt und sein Gesicht genüsslich ableckte, wie sich beide danach sehr heiß küssten, dann voneinander lösten und er sie auf seine Arme nahm und vermutlich ins Bad trug.
Interessante Einblicke boten sich ihm zu dieser frühen Morgenstunde. Jonas lehnte sich wieder mehr an den Fensterrahmen, dachte nach… Hatten er und Jana für andere auch solche Momente geliefert? Auch sie hatten sich zu Zeiten ihrer Sturm- und Drangzeit, wo immer es ihnen beliebte, geliebt, gefickt. Wen interessierte, wer da zusah, ob das Fenster offen oder geschlossen, das Licht an oder aus war. Die Vorhänge auf oder zu, die Rollos oben oder unten. Unwichtig.
Man hatte einfach zu jeder Zeit die sich bietende Gelegenheit am Schopf gegriffen und genutzt und ausgelebt. Wie schön, wie unbekümmert war diese Zeit gewesen, und wie schnell im Mahlwerk auf der Erfolgsleiter in Vergessenheit geraten. Jonas atmete tief ein und aus.
Vielleicht war der Unfall ein Wink mit dem Zaunpfahl, und er bekam die Chance sein Leben noch einmal umzukrempeln. Noch einmal von vorn zu beginnen – nur mit dem Wissen, dass das Streben nach Erfolg, das richtige Leben, die Lebendigkeit, das Lachen, die Lust überhaupt alle Gefühle nicht ersetzen konnte.
Diesmal würde er es anders machen. Eine zweite Chance bekam man nicht so oft im Leben.
Wieder den Blick in den Hof, wo gerade ein verschlafener Tim mit Minka auf dem Arm aus dem Parterre-Fenster kletterte und von den beiden Mädchen erwischt wurde.
„Guckt nicht so, heute ist Samstag und keine Schule.“ „Für uns schon“, lächelte Marita, „wir haben heute unseren Deutsch-Musik-Kunsttag.
„Pah, Deutsch!“ Tim winkte ab.
„Jaja, wir wissen, Schule ist nicht so dein Ding, dafür kickst du schon fast wie Mario Götze.“
„Findet Ihr?“ Ein Strahlen zog über sein Gesicht.
Charly wuschelte in seinem Haar. „Wenn du es dann mal geschafft hast, bekommen wir sicher ein Autogramm von dir.“
„Klar doch.“
„Lass dich nicht von deiner Mutter erwischen, mit Minka“, mahnte Marita, du weißt…“
„Jaja, aber hier – ich habe ihr ein Halsband mit Leine angelegt, da passiert schon nichts.“
Marita schaute ihn ernst an. „Minka ist eine Katze, Tim. Du musst dir eins merken: Der Hund – männlich – geht an der Leine. Die Katze – weiblich – lässt sich nicht an die Leine legen, die geht immer ihren eigenen Weg.“
„Nicht meine Minka, Minka ist lieb!“ trotzte Tim.
„Ja, ist sie, Tim“, sagte Charly, „aber trotzdem pass gut drauf auf. – Wir müssen jetzt los, tschüß!“ Und dabei entschwanden die Mädchen untergehakt.
„So, Minka, jetzt darfst du runter.“ Tim ließ die Katze auf den Boden runter, und hast du es nicht gesehen, als hätte sie nur darauf gewartet, hatte sie sich des Halsbands entledigt und verschwand zwischen den Sträuchern.
Jonas konnte sich des Schmunzelns nicht erwehren. Hatten die Mädchen doch recht behalten.
Die Katze – weiblich – lässt sich nicht an die Leine legen. Wie wahr, wie wahr.
Das Haus bzw. seine Bewohner erwachten langsam. Hier und da wurden Vorhänge aufgezogen, gingen Rollos oder Jalousien nach oben, das eine oder andere Fenster wurde aufgerissen, teils um die Düfte der Nacht herauszulassen und frische unverbrauchte klare Morgenluft reinzulassen.

 

eine weitere Szene 

„So, jetzt raus hier, und ab zum Auto, damit wir den Nachmittag an der ‚Leine‘ genießen können.“ Anja wollte Jonas‘ bohrenden Fragen aus dem Weg gehen.

Im Innenhof Tim, der mit einer Freundin Seifenblasen machte. Jonas hielt an, auch Anja und Bernd. Und das alte Ehepaar, das vom Einkaufen zurück kam.
„Schau,“ sagte sie, „Seifenblasen – ist das nicht immer wieder schön, mit welcher Leichtigkeit sie sich sorglos in die Lüfte erheben… Die einen schimmernd, durchsichtig, so filigran, wie Träume, die zerplatzen können… Und doch nimmt jedes Kind diesen Zauber mit ins Erwachsenenleben.“
„Ja“, sagte er, „und es gibt kaum jemanden, der nicht stehenbleibt, wenn ein Kind mit dem Pustefix in der Hand diesen zauberhaften Wunderwerken nur mit Pusten oder Blasen Leben einhaucht. Sicher, vergängliches Leben, aber diese wenigen Augenblicke schenken uns Glücksmomente, bringen den Zauber der Kindheit, der Wünsche und Träume wieder näher. Egal wie traurig man ist, beim Zusehen, wie sie leicht in der Luft tanzen, wirbeln, schweben, zaubert es doch ein Lächeln ins Gesicht.“
Beistimmendes Lächeln folgte auf diese Worte.
Tim und seine Freundin strahlten ebenfalls um die Wette, versuchten groß und größere zu pusten, genossen das Publikum.
„Gib mal her“, sagte Anja da zu Tim.
„Kannst Du das denn auch?“
„Klar! Das ist etwas, das man nie verlernt, aber pass mal auf, was Jonas und ich gleich machen.“

Tim gab seins Anja. Das Mädchen, etwas zögernd fragend: „Wer ist denn Jonas?“
„Ich“, sagte dieser lächelnd.
„Hier…“
„Na dann zeigt mal.“
Anja pustete, fing die Blase wieder ein, und Jonas setzte eine andere daran. Anja ließ sie wieder los, fing sie wieder ein, und Jonas setzte an einer anderen Stelle wieder eine dran, so lange, bis es wie eine Blume aussah.
„TOLL!“ Tim war beeindruckt.
Anja reichte dass Pustefix der alten Dame. „Darf ich wirklich?“ fragte diese Tim.
„Ja.“
Es war erstaunlich, wie sich das Gesicht der Frau veränderte, wie ein inneres Strahlen es überzog, als sie begann zu pusten, vorsichtig, und wie diese filigranen bunt schillernden Seifenblasen sich ihren Weg gen Himmel suchten, nicht wissend, wie vergänglich sie waren, und doch mehr nachhaltigen Zauber hinterließen, als ihr kurzes Sein ausmachte.
Noch mehr Hausbewohner hatten sich dazu gesellt, blickten hinter den zauberhaften Blasen hinterher… Jeder und jede hatte die eine oder´ andere zauberhafte Erinnerung daran, und somit entspann sich ein munteres Erzählen.

Bernd gab Anja und Jonas einen Wink. „Kommt, lasst uns losfahren.“ Der Weg durchs Vorderhaus … Serena kam die Treppe herunter – die hohen Stiefel, ein schwarzer Ledermantel, das hochgesteckte rote Haar.
Man grüßte.

Tim kam durch den Hof gerannt. Danke, Serena, für die Pustefix und den Fußball von Dortmund und die Autogrammkarten der Spieler. Dank dir habe ich jetzt die ganze Saison komplett mit Bällen und Autogrammen.“
Sie lächelte „Gern geschehen, Tim, du hast mir meinen Wagen ja auch immer so schön sauber gemacht. Das muss belohnt werden.“
Tim stand da. „Wenn Du meine Hilfe wieder brauchst – jederzeit gerne.“
Und winkte ihr nach.
Sie hielt die Außentür auf. „Danke Serena sagte Anja, als sie mit Bernd und Jonas die offene Tür nutzten, um aus dem Haus zu treten.
„Dafür nicht“, sagte Serena lächelnd, „und schönen Tag noch.“

Bernd öffnete die Wagentür. Jonas setzte sich vorn mit seiner Hilfe hin, schnallte sich an. Dann klappte er den Rollstuhl zusammen, und ab nach hinten in den Kofferraum. Ebenso der Korb mit den Leckereien.
Anja hatte hinten im Wagen Platz genommen, auch für sie war es selbstverständlich, sich anzuschnallen. Nachdem Bernd eingestiegen war, ließ er das Verdeck nach hinten gleiten, schnallte sich an und fuhr los. Jonas war die ganze Zeit sehr still gewesen.
Bernd schaute ihn an. „Dir geht Serena nicht aus dem Kopf.“
„Stimmt“, gab Jonas unumwunden zu.
„Bloß weil sie eine Domina ist, muss sie doch nicht alle Welt hassen“, warf Anja ein. „Das eine ist ihr Job, und sie ist erfolgreich darin. Und das andere ist ihre private Seite. Und da ist sie eine Frau wie jede andere auch.“
„Nur, dass sie Männer vielleicht etwas abfälliger behandelt“, meinte Bernd, „nachdem, was sie in ihrem Studio so alles erlebt.“
Anja ergriff Partei für Serena. „Hat sie dich schon mal abfällig behandelt? Oder irgendeinem im Haus oder in der Umgebung?“
„Nnnein“, sagte Bernd.
„Na also“, fauchte Anja, „dann lass die blöden diskriminierenden Sprüche. Und jetzt Schluss – ich möchte einen schönen Nachmittag erleben!“

 

aus mittendrin

Jonas tauchte unter dem Ast durch. Die andere Seite…
Er schloss die Augen. Seine Hände glitten über den Ast. Da, da war etwas…
Langsam öffnete er die Augen. ‚Jonas‘ und Iris‘ Sommer 2004‘ – eine Gravur in einem Ring um den Ast geschrieben – die Jahre hatten den Ast etwas dicker werden lassen, so dass die Abstände zwischen den Worten größer wurden. Ein zweiter Ring … Sie hatten es je von einer Seite geschrieben: ‚Ich liebe dich.‘
Jonas lehnte den Kopf dagegen, seine Finger zeichneten Buchstabe für Buchstabe nach… Iris…
Wieder tauchten längst verschollene Erinnerungen auf.
Iris nackt auf diesem Ast sich rekelnd, Sünde pur…
Wie sie ihn aufgefordert hatte, sie hier zu ficken…
„Zu riskant“, hatte er gesagt.
„Feigling!“
Das ließ er sich nicht zweimal sagen. Diese vor Übermut sprudelnde Frau, er zog sich am Ast hoch.
„Warte … gleich wirst du es bereuen, was du gesagt hast.“
„Nichts werde ich…“
„Wir werden fallen!“
„Wetten nicht… Ich halte mich schon fest.“
Sie drehte sich bei den Worten um, setzte Knie vor Knie, weiter Richtung über die Stelle wo der Ast in die Leine ragte. Er musste mit, ob er wollte oder nicht, allerdings ihren süßen Hintern so vorsichtig vor sich balancierend, zu sehen wie sie Hand vor Hand setzte, Knie vor Knie um dann zu sagen: „Hier ist es richtig, ich werde jetzt den Stamm umarmen – pack ihn also aus und besteig mich, du Berglöwe!“
Es war heiß, sie war heiß, und wenn sie jetzt dabei beide das Gleichgewicht verlieren würden, hätten sie dank dem günstigen Platz auch gleich eine Abkühlung.
„Iris, du bist verrückt…“
„Und du immer wieder entzückt ob meiner Ideen…“
Vorsichtig löste er den Gürtel, genau wissend, dass er dieser Situation jetzt nicht mehr ausweichen konnte und wollte.
Den Knopf… den Reißverschluss.
„Du hast das schon mal schneller hinbekommen…“
„Stimmt, aber auf sicherem Boden und nicht auf einem Ast kniend.“
„Einmal ist immer das erste Mal“, kam die Retourkutsche.
Er hangelte nach ein paar Zweigen, um sich daran festzuhalten, während er mit gestrecktem Glied zu Iris vorkam, mit der freien Hand dann vorsichtig einführend, wieder flüsternd: „Du bist verrückt!“
„Mag sein, aber genau deswegen liebst du mich ja. Weil ich anders bin.“
„Stimmt, aber sei jetzt ruhig… ich muss mich konzentrieren.“
Es war verrückt, es war heiß, sehr heiß, dieses vorsichtige Stoßen, Taktieren, er kam sich wie beim Rodeo vor…
Bloß nicht runterfallen…
Dann war es anders gewesen, auch Iris konzentriert, vorsichtiger, nicht das übliche Lustherausschreien, nein.
Gerade als sie beide dem Höhepunkt entgegensteuerten, drehte sich Iris zu ihm um, schaute ihn tief an und sagte: „Ich liebe dich. Du bist mein Leben Jonas, vergiss das nie.“
Und er, der letzte Stoß: „Ich werde es nie vergessen.“ Seine Stimme mit einemmal voller Zärtlichkeit, einen Moment innehaltend. „Ich liebe dich, ich
kann mir nicht vorstellen, ohne dich zu sein.“ Noch ein Stoß, und er ergoss sich in ihr, spürte ihren heißen Saft, der sich jetzt mit dem seinen vermischte, ließ alles aus sich heraussickern. Sie reckte sich hoch, schlang einen Arm um seinen Nacken, suchte seinen Mund küssend. Sie vergaßen alles, er ließ die Zweige los, umfasste Iris, und so passierte, was passieren musste, sie verloren den Halt und stürzten in die Leine.
„Iris …“
Sein Kopf sank an den Ast.
Aus dem Wasser wieder die Böschung hinaufkletternd, lachend, prustend und sich an den Händen festhaltend, ein Versprechen – danach hatten sie es eingeritzt für die Ewigkeit.
Vier Wochen später war er Jana begegnet, die ihn so sehr in den Bann gezogen und vereinnahmt hatte, dass kein Platz mehr an einen Gedanken für Iris war.
Iris…
Er sah sie direkt vor sich – sie hatte immer ein wenig wie Jennifer Aniston ausgesehen, auch frisurmäßig, nur das Haar roter, leuchtender, oft als Pferdeschwanz oder Rattenschwänze getragen, und diese strahlenden grünen Augen.
Noch immer strichen seine Finger die Buchstaben nach… Tränen liefen ihm dabei übers Gesicht.
„Ist es das, was du gesucht hast?“ fragte Anja leise.
„Ja, ich wollte wissen, ob es noch da ist.“
„Und?“
„Ich bin so ein Idiot gewesen…“
„So darfst du es nicht sehen, Jonas“, sagte Anja. „Es ist dein – euer Schicksal.“
„Wie geht es ihr, Anja? Bitte sag: Hast Du noch Kontakt zu Iris?“
„Gleich… Komm jetzt mit zu Bernd, dann reden wir.“
Bernd reichte ihm ein Glas Wasser, dann setzten sie sich auf diesen Baumstamm, den sie als Clique irgendwann mal hierher geschleppt hatten, um sitzen oder nur sich dagegen lehnen zu können.
Bernd erlebte Jonas nicht zum ersten Mal weinend; als sie dieses lange Gespräch hatten, dieses Männergespräch, hatte er auch den Eindruck gehabt, als würde dieser weinen, hatte aber nicht nachgefragt.
Jonas trank.
„Erst wird gegessen“, sagte Bernd bestimmt. „Manches verträgt man auf leeren Magen nicht.“
„Was?“
„Erst essen!“ kommandierte Bernd.
Anja reichte Jonas einen gefüllten Teller.
„Ich habe keinen Hunger.“
„Der kommt beim Essen“, wurde er abgewiesen.
„Diese Idee, hier her zu fahren, kam also nicht von ungefähr?“ fragte Jonas während, er gehorsam einen Bissen nach dem anderen zu sich nahm.
„Richtig“, bestätigte Anja. „Sicher – wir alle haben während unserer Studentenjahre hier viele schöne Stunden erlebt, die Leine kennt unser Lachen, unsere Wehmut, unseren Trotz – all das haben wir hier ausgelebt. Für dich und Iris hatte dieser Platz aber noch eine andere Bedeutung, sehe ich das richtig?“
Jonas Blick glitt einige Minuten wie abwesend über die Leine, bevor er ihn wieder zu den Freunden lenkte.

„Ja, hatte er. Hier haben wir uns das erste Mal geküsst, alles vergessend im Gras geliebt. Hier sind wir vor der Uni immer zum Joggen raus gefahren, mit den Rädern, um uns dann an dem Baum reibend unserer Lust hinzugeben. Iris, die immer riskantere Möglichkeiten fand, den Baum in unser Liebesspiel mit einzubeziehen. Am helllichten Tag die lang herunterhängenden Zweige mit den kleinen Blättern – ein natürlicher Vorhang. Im Spätsommer tanzten die Glühwürmchen darin, ich höre sie noch: ‚Schau mal, Jonas, eine Lichterkette nur für uns …das Jonas, das ist Romantik pur.‘
Es war zauberhaft, Iris nackt, die offenen Haare wild und ungezähmt, die grünen funkelnden Augen, der lockende Mund, der die lockenden Worte der Verzauberung sprach. Welcher Mann kann da widerstehen?
Hier haben wir gezeltet, um zwischen dem Sonnenuntergang und dem Sonnenaufgang Zärtlichkeiten auszutauschen, zu lieben, Sex zu haben in allen möglichen und unmöglichen Lagen.
Hier war unser Platz der Lust.“

„Wieso haben wir das nicht mitbekommen?“ fragte Bernd.
„Stefan hatte irgendwann die Idee, wir sollten die Leine gegen die Weser austauschen, und so seid ihr dann mehr nach Hemeln gefahren, da gab es so einen Biergarten direkt an der Weser gelegen.“
„Stimmt“, warf Bernd ein, „Flaschenbier und Schlachteplatte, Plattenkuchen und Kaffee je nach Tageszeit.“

Anja erinnerte sich ebenfalls. „Iris hatte mit einem Mal ganz viele Ausreden, Wäsche, um die sie sich selten gekümmert hat, Kopfschmerzen, für die nächste Klausur pauken. Ein Praktikum, mit dem sie ganz geheimnisvoll tat.“
Jonas lächelte. „Unser Italientrip drei Wochen Toskana und die Isola del Elba.“
„Deine Ausreden waren auch nicht viel besser“, warf Bernd ein, „als du dich von uns immer mehr abseiltest.“
„Ihr versteht doch, dass wir jede Minute miteinander auskosten wollten?“
„Sicher, das verstehen wir, vier Jahre habt ihr geturtelt, die Clique hatte schon Wetten abgeschlossen, wann ihr die Wand zwischen den beiden Wohnungen unter dem Dach durchbrechen würdet, um daraus eine zu machen, um endlich zusammen zu ziehen.“
„Wir standen oft davor“, gab Jonas zu, „und haben dann wieder einen Rückzieher gemacht, so konnten wir uns jeder noch zurückziehen, wenn wir lernen mussten. Trotz aller Verliebtheit waren wir doch realistisch genug, die Klausuren nicht schleifen zu lassen, das Studium nicht aufs Spiel zu setzen. Unsere Eltern waren, wie du ja auch weißt, Anja, nicht auf Rosen gebettet und wollten ihren Kindern trotz allem eine bessere Zukunft schenken. Du und Iris konntet studieren. Meine Eltern machten es möglich, dass ich es ebenfalls konnte, mein Bruder Tom hat eine handwerkliche Ausbildung genossen und Conny studierte in der Schweiz. Mit den Jobs, die wir alle zusätzlich angenommen hatten, entlasteten wir sie zwar wieder ein bisschen, aber jeder von uns war verantwortungsbewusst genug, um unseren Eltern nicht ewig auf der Tasche zu liegen. Wo diese, mit viel Verzicht auf ein angenehmes Leben ihrerseits, uns die Möglichkeit gaben, schuldenfrei in die Zukunft zu starten.
Und deswegen“, schloss Jonas, „haben wir das nicht gemacht, diesen Durchbruch.“
„Diese Inschrift am Baum…“, hakte Anja nach.
„Das Bekenntnis unserer Liebe“, sagte Jonas. „Mehr möchte ich dazu nicht sagen.“
Bernd schaute ihn prüfend an. „Sag, dass ihr das nicht gemacht habt.“
„Was gemacht – ich verstehe nicht“, stellte sich Jonas dumm.
„Na auf dem Ast, du weißt schon.“
„Was weiß ich – sprich dich aus, alter Freund!“ konterte Jonas.
Bernd druckste. „Ihr hattet das letzte Mal, als ihr zurückkamt, so viele Hautabschürfungen, wart nass, und Iris hatte danach eine schwere Erkältung.“
„Okay, du lässt ja doch nicht locker. Iris hatte mich dazu gebracht, sie auf diesem Ast zu ficken.“ Es war schwierig, man musste ständig aufpassen, ich hatte sie gewarnt, sie lachte nur, nannte mich einen Feigling. Das konnte ich nicht auf mir sitzen lassen, und so tat ich es, ich fickte sie durch — nur beim gemeinsamen Höhepunkt verloren wir dann das Gleichgewicht und stürzten küssend in die Leine. Dann krabbelten wir die Böschung hoch und ritzten das in den Ast, zogen uns an und fuhren nach Hause, wo wir hofften ungesehen in meinem Zimmer weitermachen zu können.“
Jonas ließ beim Erzählen einiges aus, die Einzelheiten, die vorhin als Erinnerung hochkamen, während er mit dem Finger das Eingeritzte nach malte, gingen nur Iris und ihn etwas an.
„Das was ihr da eingeritzt habt, war euch das ernst?“ fragte Anja.
Jonas schloss die Augen, schwieg.
„Jonas, ich habe dich etwas gefragt.“
„Ja, als wir das schrieben, war es ernst“, antwortete er.
„Und heute?“
„Heute, heute, heute!“ Jonas stand auf, starrte auf die Weide, schloss wieder die Augen… sah Iris so, wie er sie das letzte Mal gesehen hatte, lachend auf der Schaukel im Garten, wie sie sich ihm entgegen warf, ihn umwarf. Ja, Iris hatte diese umwerfende Art, die ihn immer wieder in ihren Bann zog, beide sich auf den Boden küssend rollend, atemlos glücklich.
Er wich aus: „Es ist viel passiert.“
„Stimmt.“
Bernd warf Anja einen Blick zu. „Lass es jetzt sickern, er muss jetzt die Chance haben, darüber nachzudenken.“
Anja lenkte ein. „Komm, lass uns noch ein paar Schritte laufen, Jonas. Wir haken dich unter.“
Gesagt, getan.
„Guck mal, der Habicht da drüben!“ Bernd wies auf einen Zaunpfosten, wo sich jener niedergelassen hatte. Ein weiterer zog seine Kreise am Himmel. Suchend.
Da ein Rascheln ganz in der Nähe… Ein auf geschreckter Hase, zwei, drei Schlenker, und dann wieder sitzend im hohem Gras. Abwartend.
Noch immer schwebte der Habicht über der Wiese links von der Leine, während der andere auf dem Zaunpfosten fast wie eine Statue wirkte. Teilnahmslos.

Die drei Freunde blieben stehen, beobachteten jetzt ihrerseits die Szenerie.
Diese Ruhe, diese Geduld, die die Jäger mitbrachten. Die Augen, denen nicht die kleinste Reaktion entging.
Faszination und gleichzeitig eine unglaubliche Spannung lag in der Lust, fast greifbar.
Die Freunde hielten den Atem an… Als der kreisende Habicht plötzlich nach unten stürzte, ein kurzer Laut ertönte, der Kopf des Habichts sich kurz senkte, und dann hob er mit der Beute zwischen den Krallen wieder vom Boden ab und entschwand in den Lüften. Ein kurzer Blick zu dem anderen: Dieser saß noch immer regungslos auf seinem Pfahl. Jetzt wieder ein Rascheln. Zwischen dem hohen Gras konnte man die Hasenohren ausmachen und wie dieser sich Haken schlagend der Stelle näherte, wo zuvor die Gefahr von oben eines seiner Jungen geholt hatte. Nur eine leichte Bewegung, ein Blick – der Habicht breitete seine Flügel aus und erhob sich, den Kopf nach unten gesenkt…
Anja schrie plötzlich los: „So nicht, den nächsten kriegst du nicht!!!“ – griff auf den Feldweg und warf Stein um Stein, fauchte dann die Freunde an: „Los, helft mir! Das arme kleine Häschen…“
„Lass, Anja, dein Geschrei hat den Habicht schon vertrieben. Vorerst zumindest, aber er wird wiederkommen, und nicht einmal du wirst ihn daran hindern können“, versuchte Bernd seine Freundin zu beruhigen.
Jonas, der einen Moment allein stand, ohne Gehhilfen, ohne die unterhakenden Freunde, griff jetzt auch ein: „Anja, das ist das Gesetz der Natur, und das ist gut so.“
„Ach!“ höhnte Anja mit einem Mal. „Das Gesetz der Natur – kehrst Du jetzt wieder den Wirtschaftsanwalt hervor??“
Anja hatte sich recht abrupt dabei umgedreht, und Jonas ging zu Boden.
Sie war noch nicht fertig, Jonas sah es in ihren funkelnden Augen, Augen die ihn wieder an Iris erinnerten, diese Augen, die so viel ausdrücken konnten – Wut jetzt bei Anja. Jonas schloss die Augen, sah Iris, wie sie mit laszivem Gang, nackt, das Sonnenlicht im Rücken, auf ihn zukam, in der Hand die erfrischenden Eistees mit Strohhalm, das Funkeln, das in ihren Augen stand, Zärtlichkeit und Hingabe.

„Anja…“, versuchte er.
„Halt den Mund, jetzt rede ich!“
Bernd versuchte, Anja zurück zu ziehen.
„Lass mich!“ fauchte sie auch ihn an.
„Uiuiui!“

„Das Gesetz der Natur war dann wohl auch schuld daran, dass, als Jana“ (sie spuckte den Namen förmlich aus) „auftauchte, Iris dir nicht mehr gut genug war. Jana – schillernd, blendend, immer gestylt, so wie wir alle nicht waren, weil wir jeden Pfennig umdrehen mussten um unseren Eltern nicht länger als nötig auf der Tasche liegen wollten. Unsere Jobs, die wir alle hatten, um ein paar Freiheiten zu haben. Und dann kommt diese, diese…“
Anja suchte noch nach dem richtigen Wort, als Bernd losdonnerte: „R u h e !!! – Anja, du gehst zu weit.“
Dann zog der Anja von Jonas weg, flüsterte: „Du hast deinen Auftritt gehabt, pack jetzt die Sachen zusammen und verstau sie im Auto. Ich helfe Jonas auf, wir fahren zurück.“

 

 

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